Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre veröffentlichten die Rolling Stones einige ihrer ganz großen Alben, wie ,Beggars Banquet‘ (1968), ,Let It Bleed‘ (1969) und ,Sticky Fingers‘ (1971). In diese Hoch-Zeit der Band fällt auch ,Get Yer Ya-Ya’s Out!‘, eine Platte die man durchaus als den ersten „richtigen“ Konzert-Mitschnitt der Stones bezeichnen kann.
Zwar kam schon 1966 das Live-Album ,Got Life If You Want It!‘ heraus, damals jedoch nur in den USA.
,Get Yer Ya-Ya’s Out!‘ war nicht nur in dieser Hinsicht eine besondere Veröffentlichung für die rollenden Steine, denn es war so gesehen auch das erste Album mit dem neuen Gitarristen Mick Taylor. Auf ,Let It Bleed’ hatte er zwar einige wenige Gitarren hinzugefügt, aber als er zur Band stieß, waren die Aufnahmen schon weitgehend abgeschlossen. Daher war klar, dass die öffentlichkeit jetzt genauer hinhören würde, wie sich der Neue einfügen würde. Der damals gerade 20jährige Taylor hatte vorher bei John Mayall’s Bluesbreakers gespielt. Er war für den ersten Stones-Gitarristen und Multi-Instrumentalisten Brian Jones in die Band gekommen, der die Stones im Juni 1969 offiziell verlassen hatte. Einen Monat später, am 3. Juli, wurde Jones bekanntlich tot in seinem Swimming-Pool aufgefunden.
Mit Taylor an Bord ging man nun 1969 auf die erste Amerika-Tournee seit drei Jahren, und hier wurde auch ,Get Yer …‘ am 27. und 28. November im Madison Square Garden, New York, mitgeschnitten. Lediglich die Nummer ,Love In Vain‘ wurde am 26. November in Baltimore aufgenommen.
Die Support-Acts auf dieser Tour hießen übrigens Terry Reid, Ike & Tina Turner und B.B. King, der bei einigen Konzerten durch Chuck Berry ersetzt wurde. Da wäre man ja
gerne dabei gewesen als interessierter Musik-Fan! Nur wohl nicht beim desaströsen Free-Open-Air-Festival am 6. Dezember auf dem kalifornischen Altamont Speedway, das traurige Berühmtheit erlangte. Die von den Stones angeheuerten Ordner des Hells Angels Motorcycle Clubs waren dem Ansturm der Menschenmassen nicht gewachsen, gleich vier Menschen starben bei diesem Event. Trauriger Höhepunkt war dabei der Tod des 18jährigen Meredith Hunter, der, angeblich in Notwehr, von einem Mitglied der Hells Angels erstochen wurde. Die Stones standen während der Tat auf der Bühne und spielten ,Under My Thumb‘. Wie tief diese Geschichte im kollektiven Gedächtnis der Rock-Fans verankert ist, sieht man an „The Lords Of Altamont“: Die kalifornische Band spielt harten und straighten Garagen-Rock, der deutlich in den 60s verwurzelt ist. Die Lords haben bestimmt u. a. bei den Headlinern dieses Artikels gut zugehört.
Erstmals während dieser Tour wurden Mick Jagger (voc), Keith Richards (g), Charlie Watts (dr), Bill Wyman (b) und Mick Taylor (g) angekündigt als „the biggest/greatest rock’n’roll-band in the world“. Mit den Eingangs-Sprüchen verschiedener Konzerte (von Einpeitscher Sam Cutler), die ineinander gespielt wurden und sich collagenhaft überlappen, beginnt ,Get Yer Ya-Ya’s Out!‘ Es folgt der Opener ,Jumpin‘ Jack Flash‘, der knapp 30 Jahre später nichts von seiner Faszination verloren hat. Wie druckvoll hier das Gitarren-Riff dieses US-Nummer-1-Hits von 1968 rüberkommt, ist schon bemerkenswert.
Die weitere Setlist bildet so etwas wie eine Best-Of-Compilation. Mit ,Sympathy For The Devil‘, der Single-Auskopplung ,Street Fighting Man‘
und der anderen großen No.-1-Single ,Honky Tonk Women‘ gibt es einige der bekanntesten Jagger/Richards-Kompositionen überhaupt. Jagger/Richards-Kompositionen? Rock-Historiker kennen die Geschichte, dass das Haupt-Riff von ,Honky Tonk Women‘ angeblich von Ry Cooder stammen soll. Cooder selbst äußerte sich auf die Frage (s. G&B 03/2003), ob er Keith Richards einige Sachen auf der Gitarre gezeigt habe, wie folgt: „Ich bekomme jedes Mal Ärger, wenn ich darüber rede. Es ist nicht wert, dass man darüber redet. Für mich ist es etwas so Uninteressantes. Aber jeder kann glauben, was er will. Es bedeutet mir nicht so viel.“
Zurück zur Musik: Die etwa siebenminütige Studio-Version von ,Midnight Rambler‘ (zu finden auf ,Let It Bleed‘) wird auf knappe neun Minuten ausgedehnt – stark, wie hier der Groove aufgebaut und später variiert wird! Genauso wie das absolut scharfe und sehr rockig-straighte ,Live With Me‘. Auch cool klingt der ,Stray Cat Blues‘, der balladesk beginnt, sich steigert und dann kräftig losrockt.
Mit den drei Cover-Nummern des Albums zeigten die Stones nicht nur ihre Einflüsse, sondern brachten dem amerikanischen Publikum auch die schwarze Musikkultur des eigenen Landes näher. ,Love In Vain‘ von Blues-Ikone Robert Johnson wird zu einer getragenen Ballade, die von Mick Taylors runder, weicher Slide-Gitarre dominiert wird. Weitere Höhepunkte des Albums sind die beiden Chuck-Berry-Hits. ,Carol‘ kommt sehr kompakt rüber, etwas langsamer und treibend gerät ,Little Queenie‘, hier mit schönem Rock-&-Roll-Piano von Ian Stewart, dem heimlichen sechsten Stone.
The Rolling Stones ‚Carol‘:
,Get Yer Ya-Ya’s Out!‘ zeigt die Stones insgesamt erdiger und wieder näher an ihren Blues/Rock-Wurzeln, was auf den vorherigen drei Studio-Alben, beginnend mit dem ins Psychedelische abdriftenden ,Their Satanic Majesties Request‘ (1967), nicht immer der Fall war.
Mick Taylor veröffentlichte mit den Stones noch einige weitere Alben, wie etwa ’72 den Meilenstein ,Exile On Main Street‘, stieg dann aber 1975 aus. Geschäftlich gesehen war das Verhältnis zwischen Taylor und den Glimmer-Twins Jagger & Richards wohl nie das Beste gewesen. Hier spielen die nicht genannten Songwriter-Credits Taylors auf verschiedenen Alben jener Zeit eine Rolle. Für Taylor kam bekanntermaßen Ron Wood in die Band, der zuvor u. a. mit Jeff Beck und den Small Faces gespielt hatte. Für Stones-Aficionados steht immer die Frage im Raum, ob nun Richards/Taylor oder (später) Richards/Wood, das bessere Gitarren-Gespann war. Richards selbst äußerte in einem Interview des Guitar Player (vom April 1983) einmal eine eindeutige Aussage zu diesem Thema: „Es war sehr viel schwieriger mit Mick Taylor einen Rolling-Stones-Sound hinzubekommen. Mit ihm war es aufgeteilter in Lead- und Rhythmus-Gitarre. So fabelhaft er als Lead-Gitarrist ist, so war er kein großartiger Rhythmus-Spieler, also tauschten wir die Rollen. Ich meine, er ist ein fantastischer Gitarrist… Aber von der Chemie her hatten wir nicht diese Flexibilität in der Band. Es lief mehr nach dem Motto: Du tust dies und ich tue jenes. Mit Ron ist es so: Wenn er sein Plektrum verliert, kann ich sein Lick spielen, solange bis er es wieder aufgehoben hat, und du wirst nicht einmal den Unterschied erkennen.“
Ein Geheimnis um ihr Equipment haben die Stones-Gitarristen nie gemacht. Der Meister gibt auf www.keithrichards.com unter den FAQs folgende Antwort auf die Frage nach seinen Arbeitsgeräten auf ,Get Yer Ya-Ya’s Out!‘: „Wir hatten einige gute Sachen dabei … Ich bin damals vielleicht durch einen Boogie-Amp gegangen (was ein sehr früher Prototyp gewesen sein müsste; d. Red.) anstatt durch einen Fender. Es könnte auch ein Ampeg gewesen sein. Aber andererseits habe ich dieselben Gitarren benutzt, mit denen du mich heute siehst. Ich meine, ich habe sie schon immer dabei.“ Richards ist bekannt als notorischer Benutzer einer Fender Telecaster, meist in der bekannten offenen G-Stimmung. Die tiefe E-Saite hat Richards dabei gekappt, seine Instrumente besitzen also nur fünf Saiten, und das Tuning lautet G, D, G, B, D (B steht für das deutsche H). Richards begann übrigens genau zu jener Zeit mit Open-Tunigs zu experimentieren, wie er einmal in einem Interview erzählte: „So um 1967 begann ich, mich mit Taj Mahal und Gram Parsons herumzutreiben, die auch Lernende waren. Ich meine, Taj, so wunderbar er auch ist, ist ein Student, der sich dem Blues grundsätzlich vom Blickwinkel eines Weißen aus annähert. Er ist sehr akademisch in diesem Punkt. Er zeigte mir ein paar Sachen. Plötzlich tauchte Ry Cooder auf, der die Gitarre herunterstimmte. Er kannte Open G. Ab da an arbeitete ich an Open-E- und Open-D-Tunings. Ich versuchte den Kram von Fred McDowell und Blind Willie McTell herauszufinden…“